Das Ahrtal – von der Idylle zum Schauplatz Unvorstellbarem

HOUSEOFSHOES unterwegs im Krisengebiet

Nach Bekanntwerden der Flutkatastrophe vom 14. und 15. Juli 2021 und den bildlichen Eindrücken, die uns Stück für Stück über diverse Medien erreichten, waren wir bei HOUSEOFSHOES der Meinung, wir müssen etwas tun.

Wir hatten den Eindruck, dass leider auch in diesem Falle wieder vielfach geschwafelt und „rumpolitisiert“ wird. Selbstbeweihräucherungen diverser Politiker, denen es scheinbar wichtiger war, dass „diverse Themen nicht vor der Kamera“ besprochen werden und die scheinbar ihre persönlichen Befindlichkeiten über das Wohl der Betroffenen stellten, während andere die Geschehnisse scheinbar „ganz lustig“ fanden. Es war für den nicht Betroffenen und Außenstehenden relativ schnell klar: Mit Floskeln kommt man nicht weiter – hier muss angepackt werden.

Dass dann noch private Helfer zum einen medial abbestellt, zum anderen teils öffentlich an den Pranger gestellt wurden, setzte dem Ganzen noch ein Krönchen auf. Sicherlich sind auch fragwürdige Personen, die sich bereichert haben, dort anzutreffen gewesen, jedoch helfen permanente Pauschalisierungen niemanden weiter. – Nicht auszudenken, wie Betroffene aus den Flutgebieten sich bei soviel Hohn und Wahnsinn auf einen Schlag fühlen mögen.

Nach eineinhalb Jahren Corona-Panik-Theater und den auch für uns als Unternehmen damit sehr spürbaren Folgen dieses Irrsinns war klar: Geld haben wir keines, was wir spenden können. Aber tun wollen wir dennoch etwas!

In Anbetracht der Tatsache, dass man unser Unternehmen seit Monaten betriebswirtschaftlich ausbluten lässt und wir vielfach nicht verkaufen „durften“ – die bestellte Ware jedoch abgenommen werden musste – war unser Lager umfangreich gefüllt. Somit entschlossen wir uns, eine umfangreiche Sachspende mit Schuhen ins Leben zu rufen.

Als wir anfingen, uns mit der Idee genauer zu beschäftigen, wurden wir gleich mit dem ersten Problem konfrontiert: Wie geht das alles und wohin liefern wir die Schuhe eigentlich?

Überall konnte man lesen „Sachspenden brauchen wir nicht mehr“, „Annahme verweigert“, „Es ist schon ausreichend vorhanden“. Die Idee unserer Hilfe begann zu sterben, bevor es überhaupt losging. Man begann den Eindruck zu bekommen, es ist alles organisiert, die Menschen werden vor Ort versorgt und das wird schon wieder… Die Realität sollte dann ganz anders aussehen.

Aufgrund persönlicher Kontakte zur Tierrettung Essen e.V. wussten wir, dass die Jungs und Mädels schon mehrfach im Krisengebiet gewesen sind. Deshalb entschlossen wir uns, diese zu kontaktieren, und zwar in der Hoffnung, eine Kontaktadresse zu bekommen, wo unsere Spende doch noch hingehen könnte. Stephan Witte von der Tierrettung Essen fand die Idee super und spiegelte uns unser Bild, dass sehr wohl Bedarf – gerade an Schuhen – vorhanden sei – denn die Menschen hätten teilweise gar nichts mehr.

Wir vereinbarten, dass die Tierrettung Essen die Spende bei ihrer nächsten Fahrt in den Kreis Ahrweiler mitnehmen und verteilen würde.

Einer unserer Lieferanten, die Firma Berkemann sponserte zahlreiche große Kartonagen, damit die Ware auch ordentlich und sicher verpackt dort ankommen kann und wir begannen mit dem raussuchen und vorsortieren der Ware. Schnell war klar – das Volumen wird ein wenig größer als ursprünglich gedacht und die Überlegung wurde geboren, dass wir jemanden mitschicken müssen, damit die Tierrettung Essen mit den Mengen an Schuhen dort alleine steht.

Nach Rücksprache mit der Tierrettung Essen und einem Sichtungs-Termin bei uns vor Ort haben wir uns gemeinsam dazu entschlossen, einen großen Mietwagen zu organisieren und mit zwei Mann die Tour ins Ahrtal zu begleiten.

Es begann ein reges Packen, Sortieren und Beladen des Fahrzeugs und am Freitagabend, den 13.8. waren alle Vorbereitungen abgeschlossen – rund 700 Paar neue Schuhe waren sortiert, in Kartons verpackt und bereits verladen. Samstagmorgen um 6 Uhr sollte es losgehen.

Nach kurzer Nacht und letzten Vorbereitungen fuhren wir im Konvoi mit der Tierrettung Essen Richtung Ahrweiler. Dort schlugen wir ein wenig außerhalb von Ahrweiler zusammen mit der Tierrettung Essen unser Lager auf.

Die Tierrettung Essen verbreitete via Facebook, dass sie eingetroffen wären und Schuhe als Sachspende mit an Bord sind. Während die Tierrettung eine erste Erkundungsfahrt unternahm und bereits andere Spenden vor Ort verteilten, wurden die ersten „Bestellungen“ entgegengenommen und bei weiteren Fahrten durch die Tierrettung Essen vor Ort an Betroffene übergeben.

Unterdessen kamen die ersten Bewohner aus der Region, die inzwischen via Facebook die Nachricht erhalten hatten, und stöberten in den von uns mitgebrachten Kisten.

Ahrweiler

Nachdem der erste Teil soweit erledigt war, fuhren wir in Kolonne in die Stadt Ahrweiler hinein,  um uns selbst ein Bild der Lage zu machen. Es war, als wenn man in einer anderen Welt sei… Obwohl die Flut bereits über vier Wochen her war, sah es teilweise immer noch aus wie in einem Kriegsgebiet. Schnell war klar: Hier wird mehr Hilfe benötigt, als man je gedacht hätte. Das Ausmaß der Schäden ist gigantisch.

Wir begannen die ersten Kartons auszuladen und die Nachricht, dass es hier hochwertiges Schuhwerk für die Menschen gäbe, verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Viele waren froh und der ein oder andere konnte sogar ein wenig lächeln. Teils bedankte man sich bei uns, dass man sie nicht vergessen hätte.

Der Gesprächsbedarf der Menschen war deutlich spürbar – es spiegelte sich ein Bild aus einer Mischung von Verzweiflung, Wut und dennoch auch Zuversicht. Trotz des ganzen Dramas ist – Gott sei Dank – vielen Menschen der Humor geblieben.

Zahlreiche Menschen in dieser Region dort haben nichts mehr, mal abgesehen von dem, was sie zum Zeitpunkt der Flut am Körper trugen. Viele haben Verwandte und Menschen aus der Nachbarschaft verloren.

Eine Anwohnerin erzählte uns, dass alleine 32 Menschen aus ihrem persönlichen Umfeld nicht überlebt hätten. Ein anderer, dass er bei der Flut ca. 50 Meter umgeben vom im Wasser treibenden Schutt, Müll, Baumstämmen, Autos etc. mitgerissen wurde.

Derzeit spricht man von über 140 Todesopfern, alleine in dieser Region.

Nach rund zwei Stunden haben wir ca. 30 – 40 Anwohner glücklich machen können und fuhren zu unserem „Lager“ zurück.

Dort angekommen, waren bereits wieder Anwohner aus der Region vor Ort, die unser Angebot an Schuhen dankend entgegennahmen. Auch diese hatten nichts mehr und mussten teils bis zu  13 Stunden auf dem Dach verbringen, bis sie gerettet worden sind.

Nach einer kleinen Stärkung beschlossen wir, wieder in das Krisengebiet Richtung Dernau zu fahren, um dort weitere Menschen zu erreichen …

Der "Weg" nach Dernau

Auf dem Weg von Ahrweiler durch das Ahrtal  Richtung Dernau bot sich fast überall ein Bild der Verwüstung, das sich schwer beschreiben lässt.

Man kommt an vielen vollkommen zerstörten Bahngleisen, Brücken und Häusern vorbei, die nur erahnen lassen, welche Wucht das Wasser mit sich gebracht haben muss.

Ein Flüsschen mit üblicherweise 40 – 90cm Wassertiefe, entwickelte sich hier zu einem Strom, der teils eine Höhe von bis zu 9 Metern hatte.

Dass nicht mehr Menschen ums Leben kamen, verwundert teils sehr. Wie es sich angefühlt haben muss und was für Ängste die Menschen teils auszustehen hatten – man möchte es eigentlich gar nicht  so genau erahnen …

Dernau - Ein Dorf steht zusammen

Mitten in Dernau hielten wir an einem Treffpunkt der Anwohner an und fragten, ob Bedarf an Schuhen vorhanden wäre.

Bei genauerem Hinsehen waren wir bei der „Endzeit-Klause“ gelandet.

Die Freude der Anwohner war groß und wir begannen umgehend, die Kisten auszuladen, damit alle schauen konnte, was es gab und ob etwas Passendes dabei war. Umgehend wurden seitens der Anwohner Fotos gemacht und die Info, dass wir vor Ort waren, per WhatsApp und Facebook verbreitet. Es dauert keine 20 Minuten und die ersten Menschen aus dem Ort kamen und waren begeistert.

Wir wissen nicht, wieviele Menschen an diesem Abend glücklich von dannen zogen, aber es waren viele …

Sogar den Bürgermeister, Herrn Sebastian, konnten wir beglücken. – Was ein sympathischer und engagierter Mensch, ganz nach dem Motto: Nicht schwafeln, sondern machen! Herr Sebastian, es ist uns eine Freude, Sie kennengelernt zu haben!

 

Die Bezeichnung Endzeit-Klause sagt alles

Unser Eindruck wurde an diesem Abend immer wieder von den betroffenen Menschen bestätigt: Es fehlt an allem. Gleichzeitig schwafelt die Politik und lässt sich feiern – es ist ja Wahlkampf; unangenehme Fragen sind jedoch nicht willkommen. Man lässt sich mit dem Hubschrauber einfliegen, eine wichtige Zufahrtsstraße zum Ahrtal wird dafür über mehrere Stunden für Fotos und Geschwafel gesperrt – und Einsatzfahrzeuge müssen halt warten.

Hinzu kommt, dass das Medieninteresse von Tag zu Tag immer mehr abnimmt, und dadurch immer weniger über die wirkliche Situation in den Krisengebieten berichtet wird.  Aus dem Auge – aus dem Sinn …

Dabei ist es wichtiger denn je. Viele Häuser sind komplett zerstört, andere nass, es droht Schimmel. Trocknungsgeräte fehlen an allen Ecken.

Aufgrund der ständig abnehmenden medialen Präsenz kommen auch immer weniger private Helfer – andere fahren nachhause, da es teils zu organisatorischen Katastrophen kommt. Viele Menschen helfen von Anfang an unermüdlich und reißen sich den A… auf. Bei allem Respekt für die vielen freiwilligen Helfer – aber leider wird es so nicht reichen.

Der Winter naht – es gibt wenig bis keine Heizungen, und manche Menschen wissen noch gar nicht wie es weitergehen soll. Willkommen in Deutschland! Das kann ja wohl nicht wirklich wahr sein…

Unser einstimmiges Resümee: Wir kommen wieder!

Nach vielen guten und wertvollen Gesprächen mit Anwohnern und privaten Helfern, sowie zahlreichen, teils schockierenden Eindrücken, packten wir die verbleibenden Kisten zusammen und fuhren gegen 22:15 Uhr wieder in Richtung unseres „Lagers“. Wir konnten ca. 100-120 Menschen zumindest ein wenig glücklich machen.

Auf dem Weg zurück waren auch um diese Zeit noch zahlreiche Einsatzfahrzeuge und mit Schutt beladene LKW unterwegs – dies wird auch noch lange so weitergehen. Nur die aufkommende, komplette Dunkelheit war der scheinbar einzige Grund, die Arbeiten zu unterbrechen.

Mayschoß - eine Idylle im Chaos

Nach einer kalten und unruhigen Nacht im Freien fuhren wir am nächsten Tag Richtung Mayschoß. Auf dem Weg dorthin machten wir einen Tankstopp an der Aral-Tankstelle in Ahrweiler. Die Hoffnung auf einen Kaffee wurden uns leider genommen – es gab kein Trinkwasser.

Unser Weg führte wieder durch Dernau, wo man uns freundlich zuwinkte – man erkannte uns wieder vom Vortag. Die Straße wurde schlechter, die Schlaglöcher und Schäden immer größer und das Ausmaß der Verwüstung schien kein Ende zu nehmen.

Der höher gelegene Teil von Mayschoß war Gott sei Dank augenscheinlich nicht betroffen. An der Kirche waren Toiletten, Duschen und eine Zeltküche aufgebaut. Die Kirche wurde als Lager und „Supermarkt“ zweckentfremdet.

Wir entluden das Fahrzeug bei über 30 Grad und durften im Nachgang selber erfahren, wie es ist, wenn manche „Wichtigtuer“ seitens des DRK Berlin und anderen sich aufspielen und aktive Hilfe verhindern. Während wir schweißgebadet das Fahrzeug entluden, schaute man uns „Bratwurst-essend“ entspannt zu, um uns dann mitzuteilen, dass wir dort nicht stehen konnten. Wir haben dreimal die gesamte Lieferung umgerückt und jedes Mal kam wieder jemand, der seine Befindlichkeiten formulieren und zeigen wollte, wie wichtig er denn sei. Erst nachdem wir mit dem örtlichen Einsatzleiter sprachen und dieser diesen Herrschaften klar zu verstehen gab, dass dies alles abgesprochen und genehmigt war, konnten wir unserer Arbeit nachgehen.

Wie traurig, dass manchen Menschen in solchen Situationen Ihre Befindlichkeiten über alles stellen – es hätte nicht viel gefehlt und wir hätten alles wieder eingeladen und währen weiter gefahren – die Leittragenden wäre jene gewesen, die eh nicht mehr viel oder gar nichts mehr besitzen. Armes Deutschland!

Auch hier war die Freude groß und wir konnten erneut zahlreichen Menschen ein wenig Freude bereiten.

Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit entschieden wir uns dazu, in Absprache mit der zuständigen Dame aus der Kirche (dem aktuellen Supermarkt/Verteilzentrum), die verbleibenden Kartons mit Schuhen dort vor Ort zu lassen, damit jene, welche erst am Abend zur Sammelstelle kommen, auch noch Schuhe bekommen können.

Wir luden die leeren Kartonagen und angefallenen Müll ein und machten uns wieder auf den Heimweg Richtung Essen. Auf dem Rückweg durchfuhren wir wieder Dernau, wo uns wieder zahlreiche Menschen zuwinkten. Auch bei der Fahrt durch Ahrweiler winkten uns zahlreiche Menschen genauso wie allen anderen Helfern freundlich zu – die Dankbarkeit, die diese Menschen an den Tag legen, ist beeindruckend. Uns war es eine Freude, dass wir ein Stück weit helfen konnten.

Ein wenig gerädert, aber zufrieden kamen wir gegen 23:15 Uhr zuhause an und genossen eine warme Dusche, ein leckeres Essen und anschließend ein weiches Sofa – sehr wohl genau wissend, dass über 40.000 Menschen in dieser Region davon aktuell nur träumen können.

Lieber Leser, wenn Sie bis hierhin gelesen haben, und Sie vielleicht einen kleinen Eindruck gewinnen konnten, wie die aktuelle Situation vor Ort ist, dann freut es uns. Dieser Text soll keine Beweihräucherung unserseits darstellen, sondern Einblicke in die aktuelle Situation geben. Wir haben diese Tour nicht für uns gemacht, sondern für die Menschen vor Ort.

Noch mehr freuen würde es uns, wenn Sie helfen wollen. Es wird noch viel benötigt, und das kostet Geld.

Wir werden in jedem Falle noch einmal ins Ahrtal fahren. Es werden dringend weitere Dinge benötigt und wir können dies finanziell aktuell nicht komplett stemmen. Wenn Sie helfen wollen, dann kontaktieren Sie uns gerne – wir finden eine Lösung. Schon jetzt ganz herzlichen Dank dafür!

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